Der folgende Artikel stand am 1. Juli in der Stuttgarter Zeitung im Wochenendteil, und ist sehr lesenswert. Leider gibt es den Artikel nicht (ohne Geld) Online zu finden. Wer bezahlt, kann ihn bei der Stuttgarter Zeitung hier finden. Ich habe bei der Autorin, Sandra Markert, nachgefragt, und von ihr die freundliche Erlaubnis erhalten, den Artikel hier zu veröffentlichen. Vielen Dank an Frau Markert dafür!
Der folgende Artikel wurde von mir über https://www.onlineocr.net/ aus einem Foto des Artikels extrahiert, und dann nachbearbeitet. Ich habe dabei die Stellen, die ich für uns als Schachspieler bemerkenswert finde, fett hervorgehoben. Diese Hervorhebungen sind nicht im Originalartikel enthalten. Viel Spaß beim Lesen!
Wer den Artikel „im Original“ lesen möchte, Frau Markert hat uns den Artikel auch als PDF zur Verfügung gestellt.
Spielen heißt leben
Kinder haben zwar mehr Zeit zum Spielen, doch auch Erwachsene tun es häufiger, als sie denken. Warum uns das Spielen ein Leben lang begleitet und was passiert, wenn Menschen nicht spielen dürfen.
Einführungsabschnitt des Artikels
VON SANDRA MARKERT
Beeindruckende 11695 Steine und mehrere Tage Zeit braucht es, um die Lego-Weltkarte zusammenzubauen. Kein Kinderspiel, der Bausteine-Hersteller hat seit mehreren Jahren auch anspruchsvolle Bau-Set für Erwachsene im Angebot: neben der Weltkarte unter anderem Autos, berühmte Bauwerke oder Porträts von Prominenten. Auch andere Hersteller bieten an Erwachsene angepasstes Kinder-Spielzeug wie komplexe Murmelbahnen, Modellautos, schwierige Ausmalbilder und natürlich Computerspiele. Nicht überraschend, findet Karin Falkenberg, Leiterin des Spielzeugmuseums in Nürnberg. „Es gibt weltweit keinen einzigen Menschen, egal ob Kind oder Erwachsener, der nicht das Verlangen hat, zu spielen“ „Stimmt doch gar nicht!“, mag hier mancher Erwachsene einwenden, „ich baue doch keine Lego mehr zusammen.“ Aber wie sieht es mit Sport aus? Mit einem Musikinstrument, Computerspielen, Brettspielen, Werkeln an der Werkbank, malen, in der Küche experimentieren? „Alle Bereiche, in denen man kreativ ist, Fantasie einsetzt, sich ausprobieren kann oder nochmals von vorn beginnt, wenn etwas schiefgeht, sind letztlich spielen„, sagt Karin Falkenberg. Spielen ist vom Baby bis zum Senior ein Grundbedürfnis wie Essen und Trinken, die Wissenschaft spricht deshalb auch vom „Homo ludens“, dem spielenden Menschen. Warum das so ist, lässt sich am besten bei Kleinkindern beobachten, die den ganzen Tag nur spielen.
Sie machen das nicht etwa, weil sie nichts anderes zu tun hätten oder weil es so viel Freude bereitet, sondern weil sie im Spiel all das lernen, was sie zum Großwerden brauchen. Weltweit passiert das mit den gleichen fünf Spielformen. „Anhand dieser überall gültigen Spielformen sieht man, welch starke Kraft das Spielen hat“, sagt Karin Falkenberg.
Los geht es im Alter von null bis etwa drei Jahren mit dem explorativen Spiel. Indem Kinder greifen, strampeln, den Kopf drehen, schaukeln, wippen, lernen sie ihren Körper kennen und welche Wirkungen sie damit erzielen können. Es folgen das Fantasiespiel und das Rollenspiel, im dem sich Kinder ausprobieren, um Lebenswelten und Gefühle anderer Menschen zu erforschen und Kommunikation sowie Interaktion zu üben. Im Konstruktionsspiel kann mithilfe eigener Fantasie und Materialien wie Knete, Steine oder Bauklötze etwas erschaffen werden. Die fünfte Spielform ist das Regelspiel, welches beispielsweise mit Brettspiele oder Bewegungsspielen geübt wird. „Keine Gesellschaft kommt ohne Regeln aus. Bei solchen Spielen übt man den Umgang mit festen Strukturen und Grenzen“, sagt Karin Falkenberg.
Gleichzeitig bleibt das Spielen aber etwas Unverbindliches: Wenn man verliert, der Turm einstürzt, das Bild misslingt oder das Fußballtor verfehlt wird, probiert man es einfach nochmals. „Diese Erfahrung fördert nachweislich bis ins Erwachsenenalter hinein den Mut, sich auch im echten Leben mehr zuzutrauen„, sagt Karin Falkenberg.
Menschen, die als Kinder viel spielen konnten, haben es als Erwachsene auch sonst leichter. Sie sind kreativer und können sich besser an unterschiedliche Situationen anpassen oder auch mal mit Niederlagen umgehen. Umgekehrt zeigt sich: Wem die Chance zu spielen verwehrt wird, der hat es schwer, in der Gesellschaft zurechtzukommen. „Es gibt Befragungen in den USA unter verurteilten Mördern: So bis 90 Prozent dieser Mörder haben extrem wenig gespielt in ihrer Kindheit“, sagt Karin Falkenberg. Dadurch fehle ihnen die Fähigkeit, ihre Verhaltensweisen an verschiedene Situationen anzupassen, weil das im Spiel nicht trainiert wurde. „In einer Extremsituation haben sie dann keinen anderen Weg gesehen, als jemanden umzubringen“, sagt Karin Falkenberg.
Bleibt die Frage, warum auch Erwachsene bis an ihr Lebensende weiterspielen. „Weil es einfach guttut“, ist Karin Falkenbergs kurze Antwort. Die längere: Spielen ist etwas Freiwilliges, Leichtes, Kreatives, weshalb es viel Optimismus verbreitet. Mit welcher Art des Spiels sich Erwachsene dann diesen Optimismus holen, unterscheidet sich stark und hängt mit den Persönlichkeitsstrukturen zusammen. Aktive Menschen suchen sich Bewegungsspiele. Wer gern strategisch denkt, wird eher entsprechende Brettspiele bevorzugen als jemand, der gern selbst etwas erschafft und deshalb lieber malt, komponiert oder ein Regal baut. Manch einer mag die soziale Interaktion, wenn man ein gemeinsames Ziel verfolgt und kooperativ spielt wie beim Fußball oder in einem Orchester. Andere spielen eher der persönlichen Anerkennung wegen und suchen sich deshalb Individualsportarten oder kompetitive Brett- oder Computerspiele aus.
Egal, in welcher Form: „Spielen ist wie ein Lebenselixier für uns Menschen. Wenn wir nicht mehr spielen, sind wir tot“, sagt Karin Falkenberg.
INFO
Spielen am Arbeitsplatz
Unter dem Begriff „Gamification“ soll auch in Betrieben auf spielerische Art und Weise neues Wissen vermittelt werden. So gibt es für neue Mitarbeiter die Möglichkeit, das Unternehmen durch ein Quiz oder bei einer Schnitzeljagd kennenzulernen. Für Fließbandmitarbeiter kann es motivierend sein, anhand eines Computerspiels mal ein ganzes Auto zusammenzubauen, statt immer nur die gleichen Schrauben anzuziehen. Um die Gesundheit der Belegschaft zu fördern, gibt es Wettbewerbe, wer täglich die meisten Schritte zurücklegt. Auch Escape-Rooms – geschlossene Räume, die sich nur durch gemeinsam gelöste Rätsel öffnen lassen – werden eingesetzt, um einem Team neues Wissen zu vermitteln.
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1 Kommentar
Tom · 10. Juli 2023 um 0:18
Danke für den interessanten Artikel. So manches was man im Artikel erfährt kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Homo ludens, ich kenne keinen einzigen Schachspieler der nicht auch gerne ab und zu andere Spiele spielt oder ausprobiert. Auch in der Tierwelt wird gespielt.